Fünf Dinge, die ich beim Schreiben gelernt habe

Anja Bagus hatte die sehr schöne Idee, die Guest Postings anderer Autoren bei Chuck Weddings terribleminds ins Deutsche zu übertragen. Ein paar Autoren haben schon etwas geschrieben und hier gibt es die Dinge, die ich beim Schreiben von „Neues aus Neuschwabenland“ gelernt habe.

 

Neues aus Neuschwabenland

1) Lest um Euer Leben!

Der erste Tipp bricht auch schon gleich mit der Vorgabe, denn das habe ich nicht beim Schreiben gelernt, sondern bei den ersten Lesungen des Buches.

Lest Eure Texte!

Mehrfach!

Noch mal!

Nicht aufhören!

Und wieder!

Damit meine ich nicht das viel gehasste überfliegen der Passagen beim Editieren, sondern lautes Vorlesen. Am besten mit Publikum – ja, Euer Partner wird euch eventuell dafür hassen, wenn er zum zehnten Mal Eure beste Szene hören muss, aber das gehört dazu. Sollte kein Publikum greifbar sein, setzt eine Horde Stofftiere vor Euch. Niemand kann so kritisch schauen, wie ein Teddy.

Das bereitet Euch zum einen auf eventuelle Lesungen vor, zum anderen bekommt ihr viel mehr Gespür für den Text und die Geschichte, die sich im Kopf des Lesers entwickelt. Beim Vorlesen entdeckt ihr die Schlaglöcher Eures Stils, erst dann werden aus einzelnen Sätzen Bilder und damit eine Geschichte im Kopf. Die Zunge stolpert über holprige Formulierungen und Euer Kopfkino zeigt die rote Fahne, wenn die Geschichte nicht flüssig ist.

(Und egal, wie schnell ihr vorlest: Lest langsamer. Noch langsamer. Es ist wirklich schwierig zu langsam für den Zuhörer zu lesen. Besonders, wenn ihr den Text gut kennt.)

2) Lauft um Euer Leben

Ich gebe offen zu: Ich bin ein fauler Sack. Wie bei allen faulen Säcken äußert sich das dann in der befreienden Erkenntnis:

„Ich bin erst unter Druck besonders gut.“ 

Nein, bist du nicht. Du bist faul.

Damit schreibt sich aber kein Buch. Eine der größten Herausforderungen, wenn nicht sogar die Größte, ist es am Ball zu bleiben. Deadlines setzen einen zwar unter Druck, aber man hat dann eben auch nicht mehr die Zeit, irgendetwas eine Passage noch mal zu schreiben und sie ist vielleicht nur halb so gut, wie sie hätte sein können.

„Ich habe aber heute keine Ideen. Morgen wieder.“

Bullshit. Ausrede. Ran an die Tastatur. Wenn ihr die Möglichkeit habt, nutzt Schreibsprints. Diese Methode kommt aus dem NaNoWriMo. Dabei verabreden sich zwei oder mehr Autoren und schreiben für ca. 60 Minuten gemeinsam. Man wählt ein zufälliges Wort aus (Buch aufschlagen, Tante Google, es gibt auch Generatoren) und schreibt dann mit der Stoppuhr für 10 Minuten im Laufschritt, wobei man das gewählte Wort unterbringen muss. Wer die meisten Worte hat, darf das nächste Wort auswählen und weiter zum nächsten Sprint, bis die vorgegebene Zeit vorbei ist.
Das klappt natürlich auch alleine, macht dann aber nicht ganz so viel Spaß.

„Aber was soll ich denn mit einem Wort wie „Heckklappendrosselung“ in meiner Fantasygeschichte?“

Zum einen solltest du dir andere Freunde beim Sprint suchen oder du hast ihnen vorher nicht erzählt, was für ein Genre du schreibst. Das Wort sollte möglichst allgemeingültig sein. Passt es trotzdem nicht, dann nimm Assoziationen des Wortes (in diesem Fall: Technik, Mechanik, gebremst, Vogel..). Es geht darum, dass du schreibst.

„Sorry, aber dieser Passage ist einfach unpassend in der Geschichte.“

Dann steckst du vielleicht noch nicht gut genug in deiner Geschichte. Deine Charaktere müssen leben, du musst sie besser kennen, als deine Arbeitskollegen. Im echten Leben kannst du auch nicht sagen: „Entschuldigung, aber das passt gerade nicht in meinen Tag.“ Warum sollte es den Charakteren anders gehen als dir. Sie müssen auch mit unvorhersehbaren Dinge klarkommen.

„Das ist aber wirklich Müll, was ich da geschrieben habe.“

Kein Problem. Denn du hast ja noch genügend Zeit bis zur Deadline, weil du früh genug angefangen hast und regelmässig schreibst. Hast du doch, oder?

Kopier den Text raus und sichere ihn in einer Ablage. Vielleicht brauchst du ihn später noch mal, denn…

3) Kein Text ist umsonst

Es wird nichts weggeworfen. Bytes fressen kein Brot und können auf deiner Festplatte dümpeln. Da fristen sie dann ihr Dasein*, bis sie irgendwann mit Leben erweckt werden. Das mag nicht nächsten Monat sein, auch nicht bei dem nächsten Buch, oder dem übernächsten. Aber irgendwann kommt der Tag an dem du sagst: Da hatte ich doch mal was…
Das kann dann eine Formulierung, ein Charakter oder eine Idee sein, die erst jetzt mit Leben gefüllt werden kann.

* (Du machst doch regelmässig Back-Ups? An drei verschiedenen Orten und wenn du ganz sicher gehen willst, liegen die mindestens an zwei physikalischen Orten – also nicht in deiner Wohnung?)

4) Die Uhr schlägt 13

Der erste Satz muss den Leser an der Kehle packen und darf ihn nicht mehr loslassen.

Bitte kein „It was a dark and stormy night…“ LANGWEILIG. Warum sollte ich da weiterlesen? Mit den ersten Sätzen entscheidet sich, ob der Leser Interesse an dem Buch hat oder nicht. Wenn er sich da schon quälen muss, wird seine Motivation für den restlichen Roman nicht größer werden.

 It was a bright, cold day in April, and the clocks were striking thirteen.“

So beginnt Orwells 1984. Ein Satz und schon fragt der Leser sich „Die Uhr schlägt 13?! Warum?“ und liest weiter. Der erste Satz muss eine Ereignis beschreiben, das eine Frage beim Leser auslöst und er wissen will, wie es denn weiter geht. Schnapp dir deine Lieblingsbücher und lies die ersten Sätze durch. Was passiert da? Welche Frage willst du beantwortet haben? Warum lässt dich das Buch nicht los?

Diese Neugier musst du im kompletten ersten Abschnitt aufrecht erhalten. Wenn du für dein Buch 150% gegeben hast, so musst du für den ersten Abschnitt 200% geben. Da muss jedes Wort stimmen, jede Formulierung die Eleganz eines Ninjas haben und die Spannung greifbar sein.

5) Sie hatten meine Neugier. Jetzt haben Sie meine Aufmerksamkeit

Über Tarantino wurde mal gesagt, dass er den Film gerettet hat, weil er die Dialoge wieder ins Kino brachte. Seine Filme sind voll von legendären Sprüchen oder Wortwechseln, die sich jedem Zuschauer  sofort einprägen. Dialoge sind das Salz in der Suppe der eigentliche Geschichte. Die Handlung ist wichtig, ohne Zweifel, aber Dialoge bringen die Charaktere zum Leben, schaffen Persönlichkeiten und geben die Stimmung besser wieder, als es eine Beschreibung könnte.
Wie redet dein Charakter? Nutzt er Fremdworte? Hört sich gerne selber reden und redet viel um den heißen Brei, nutzt dabei viele Relativsätze und Verknüpfungen, so dass man gar nicht mehr weiß, worum es eigentlich ging? Setzt er sich bei Streitgesprächen mit harten Worten durch? Ist er schnell eingeschnappt oder dreht seinem Gegenüber die Worte im Mund rum?
All das gehört auch zu einem lebenden Charakter, nicht nur sein Temperament oder sein Seelenleben. Jeder Mensch redet anders und er redet auch mit jedem anderen Menschen anders. Lass das in deine Geschichte einfliessen und nutze Dialoge nicht nur, um zwei Personen etwas erzählen zu lassen.